Glosse
Aus der Traum
Dank meines Familiennamens - den ich hier aus Anonymitätsgründen im Übrigen nicht nennen möchte - glaubte ich mich kürzlich sehr bald schon reich. Unverschämt reich, um es genauer auszudrücken. Auf mein Konto hätte demnächst ein nettes Sümmchen in Millionenhöhe flattern sollen. Aber fangen wir erst einmal ganz von vorne an….
Vor ein paar Tagen schrieb mich übers Geschäftsmail ein Henry Smith an. Seines Zeichens Nachlassverwalter eines Klienten, der vor einiger Zeit plötzlich verstarb, ohne ein Testament oder einen Erben zu hinterlassen. Wie Smith schrieb, gelang es ihm auch nach intensiver Suche nicht, einen Erben zu finden, weshalb das Vermögen nun zu verschwinden drohte. An dieser Stelle brachte er meine Wenigkeit ins Spiel.
Offensichtlich war der Verstorbene Schweizer Abstammung und trug sogar denselben Nachnamen wie ich. Es könne also durchaus möglich sein, dass wir Schwippschwager oder sonst irgendwie entfernt verwandt seien, schrieb Henry Smith in nicht ganz korrektem Deutsch. Der genaue Verwandtschaftsgrad spiele aber ohnehin keine allzu grosse Rolle. Denn er brauche lediglich jemanden, den er zum Erben erklären könne. Ansonsten würde das Vermögen in Höhe von 18,5 Millionen Britischen Pfund wegfallen und ihm so sein Provisionsanteil von 40 Prozent des Erbes durch die Lappen gehen. Er bat mich, mich bei Interesse doch bitte umgehend bei ihm zu melden – und dabei natürlich Diskretion zu wahren.
Selbstverständlich war ich interessiert. Diskretion konnte ich ihm allerdings keine garantieren. Schliesslich musste ich meinem Chef eröffnen, dass er sich nächstens nach einem neuen Mitarbeiter umzusehen hatte. Vorausschauenderweise hatte ich auf Immobilienportalen auch schon ein passendes Blockhaus mitsamt See in Kanada für meinen nahenden vorzeitigen Ruhestand auserkoren.
Es kam, wie es kommen musste. Anstatt sich um meinen Nachfolger Gedanken zu machen, lächelte mir mein Chef ganz gelassen entgegen. Denn auch er hatte eine Mail von Henry Smith erhalten. Angesichts unserer komplett unterschiedlichen Familiennamen liess dies nur den Schluss zu, dass ich zum Narren gehalten wurde. Zugegeben, ein bisschen verdient hatte ich es ja. Wenn nicht wegen meiner Naivität, dann sicher wegen der Geringschätzung, die ich der deutschen Rechtschreibung für einen kurzen Moment entgegengebracht habe.
Nur gut, behielt ich die ganze Angelegenheit nicht «top secret». Den manchmal kann Reden eben doch Gold sein.
Es grüsst (wohl oder übel aus dem Büro)
eure Stella