Zu Besuch in Wiler
Umgeben von Königen
Im Herbst präsentiert sich das Lötschental von seiner schönsten Seite. Die Nadeln der Lärchen verfärben sich erst leuchtend gelb, später dann golden bis rot und sorgen so für eine spektakuläre Farbkulisse.
Auch Loris Henzen, Mediamatiker in Ausbildung bei der Dienststelle für Personalmanagement, weiss den Reiz dieser Jahreszeit durchaus zu schätzen. Der bald 17-Jährige ist in Wiler aufgewachsen. Im typischem Lötschentaler Dialekt erklärt er, dass sich ein Ausflug in sein Heimatdorf insbesondere während des Altweibersommers lohne. Alleine schon wegen der klaren Sicht auf das 3934 Meter hohe Bietschorn, dessen Spitze dann puderzuckerartig mit Schnee bedeckt sei und weiss schimmere. Der markante Berg gehört seit 2001 zum Gebiet des UNESCO-Welnaturerbes Jungfrau-Aletsch und wird nicht umsonst auch König des Lötschentals genannt. «Von hier aus – also von der Nordseite her - sieht man das Bietschorn von der ‹richtigen› Seite», fügt Loris mit einem Schmunzeln hinzu.
Wiler ist taleinwärts die dritte von vier Gemeinden im Lötschental. Das idyllische 600-Seelen-Dorf ist nicht nur das bevölkerungsreichste im Tal, aufgrund seiner architektonischen Regelmässigkeit im Dorfkern unterscheidet es sich von Ferden, Kippel und Blatten, die eher umstrukturierte Haufendörfer darstellen. Der Ursprung für diese Regelmässigkeit ist gemäss Loris Henzen im Jahr 1900 zu finden, als ein Brand fast das gesamte Dorf zerstört hat. «Die Bewohner bauten Wiler daraufhin auf einem Schachbrettgrundriss neu auf. Es gibt heute noch drei Gebäude im Ort, die aus der Zeit vor der verheerenden Katastrophe stammen. Eines davon ist der schwarze Stadel.» Das Dorf sei anno dazumal noch viel kleiner und noch nicht so weit in Richtung Nachbardorf Kippel ausgebreitet gewesen. «Der besagte Stadel lag somit schon fast abgelegen und blieb vom grossen Feuer verschont. Allerdings ist er bei einem anderen Brand stark beschädigt worden.» Die eine Wand sei nun pechschwarz - daher auch sein Name. Gegenwärtig wird dieser mit zwei grossen Tschäggättä-Larven geschmückte Stadel von den örtlichen Jugendlichen gerne auch als Treffpunkt genutzt.
Brauchtumspflege im Wandel
Noch heute werden verschiedene Traditionen und Bräuche von den Talbewohnern gelebt. «Jeder kennt die berühmt-berüchtigten Tschäggättä, die maskierten Gestalten, die an der Fasnacht für Angst und Schrecken sorgen. Aber da gibt es auch die etwas weniger bekannten, nicht minder unterhaltsamen Brauchtümer», findet Loris. So etwa das «Chinigrosslinu». Dabei handelt es sich um einen der letzten Dreikönigsumzüge im Wallis. Junge Burschen, die im jeweiligen Jahr ihr 20. Lebensjahr erreichen, schlüpfen in die Rolle des Chinigrossli. Dafür tragen sie ein Gestell, das wie ein Pferd aussieht, dazu einen langen, reich verzierten Umhang und eine Krone. Begleitet werden sie von jeweils zwei «Goigglär», also Gauklern, die mit einfallsreichen und charmanten Worten und einem lautstarken «Eh la la la, tournez Cleopatra…!!!» auf ihren hübschen König aufmerksam machen wollen. So ziehen sie gemeinsam durchs Dorf und statten jedem dörflichen Würdenträger, unter anderem dem Gemeinderat, dem Richter und Prior, einen Besuch ab. «Während der Weihnachtszeit sind in den Lötschentaler Kirchen in den Krippen keine drei Könige zu finden. Diese kehren erst am Dreikönigstag von Bethlehem zurück und erzählen dann von ihrer weiten Reise.»
Idealerweise habe jedes Dorf drei Chinigrosslini, analog den heiligen drei Königen. Allerdings werde es zunehmend schwieriger, Jugendliche zu finden, die sich dazu bereit erklären würden, sagt Loris. Für ihn ist klar, in drei Jahren - wenn er im richtigen Alter ist - wäre es ihm eine Ehre, als Chinigrossli aufzutreten.