Reportage

Porträt

null Per Stahlross durch die Schweiz

PorträtPer Stahlross durch die Schweiz

Auf die Räder, fertig, los! An diesem Montag, dem 2. August, ist die Stimmung in Sitten heiter. Zu Beginn dieser Reise wartet jedoch eine grosse Etappe auf die Familie Degoumois: der langgezogene Sanetschpass mit seinen 24 Kilometern Aufstieg und 1800 Metern Höhenunterschied. «Die Route über den Sanetschpass ist zwar eine der schwierigsten, die aus dem Wallis hinausführen, aber auch eine der direktesten. Ist man einmal oben angekommen, bringt einen die Seilbahn direkt in den Kanton Bern», weiss Yves Degoumois.

Startort der Veloreise ist Sitten.

Die Ausrüstung beschränkt sich auf das Nötigste: ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln, ein Anorak gegen Regen und Kälte, ein Reparaturset, ein Smartphone, eine Kreditkarte und eine Zahnbürste. Nicht zu vergessen sind natürlich die Fahrräder. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass zwei darunter mit elektrischer Unterstützung ausgestattet sind: der «Racer» der Mutter Fabienne wie auch das «Merida» des jüngsten Familienmitglieds Augustin. «Das sind zwei zusammengeschusterte Motoren. Fabienne und Augustin profitieren von der Tretunterstützung, tragen aber im Gegenzug die Radtaschen. Ansonsten handelt es sich um drei Rennräder, die mit Strassenreifen ausgestattet sind. Den roten «Racer» und meinen «Scott» haben wir auf dem von Pro Velo Wallis organisierten Fahrradmarkt gekauft», sagt Yves Degoumois.

Auf in Richtung Zürich. Unsere Radler geben sich vier Tage Zeit, um Céleste, die älteste Tochter, die gerade ans Limmatufer gezogen ist, zu treffen. Die Route führt über Thun, Luzern und Schwyz. «Wir kennen das Ziel. Was die Etappen angeht, so präzisieren wir sie in der Regel von Tag zu Tag, je nach den Wetterbedingungen und unseren Wünschen. Wir nehmen uns auch die Freiheit, bei Bedarf den Zug zu nehmen. Und zum Übernachten bevorzugen wir Jugendherbergen», hält Yves Degoumois fest.

 

Wir präzisieren die Etappen von Tag zu Tag.

 

In vier Etappen geht es nach Zürich.

Kilometer 7 - 900 m ü. M.: Augustin übernimmt die Führung, als er die Teufelsbrücke passiert. Das Trio nimmt die Strasse nach Savièse, die weniger befahren ist als jene nach Erde. Der Aufstieg ist lang. Es geht darum, seine Kräfte wie auch die Batterien einzuteilen.

Die Familie Degoumois ist an Veloferien gewöhnt. Yves und Fabienne teilen dieses Vergnügen seit mehr als zwanzig Jahren, als Paar oder als Familie. «Man muss es einmal erlebt haben. Wenn man keine Verpflichtungen hat, fühlt man sich wirklich wie im Urlaub. Radfahren gibt einem ein echtes Gefühl von Freiheit. Wir entdecken Städte und Landschaften, weder zu schnell noch zu langsam. Das Stahlross ermöglicht ausserdem interessante Begegnungen», betont Yves. Unter den Touren auf zwei Rädern stechen Aquitanien, Kroatien und der Canal du Midi hervor. Aber der Höhepunkt ist immer noch Budapest im Jahr 2018. Ein Abenteuer, das die Familie durch die Kraft ihrer Waden in zwölf Tagen rund 1400 Kilometer weit gebracht hat.

©Fabienne Degoumois

 

Radfahren gibt einem ein echtes Gefühl von Freiheit.

 

Der Sanetsch rückt näher. Das war's, nur noch drei Kilometer bis zum Gipfel. Es überrascht nicht, dass eine Pause dringend nötig ist. Die Batterien sind leer. Zum Glück ist das Hotel du Sanetsch nur einen kurzen Pedaltritt entfernt. Dies ist die Gelegenheit, sowohl die Fahrräder aufzuladen als auch den Körper rasten zu lassen.

Yves Degoumois fährt seit seinem fünften Lebensjahr Rad, zuerst in Biel und dann in Genf. Als Teenager hängte er in Genfer Schulen Plakate auf, um seine Mitschüler für sein Hobby zu gewinnen. Als junger Erwachsener entdeckte er seine aktivistische Ader. Yves Degoumois blockiert mit seinen Fahrradfreunden die Mont-Blanc-Brücke, um gegen den Smog zu protestieren. Eine Sensation unter dem Genfer Jet d'eau. Die heute nicht mehr existierende Tageszeitung «La Suisse» brachte diese News sogar in ihrer Sonntagsausgabe. «Dies waren die Anfänge der Bewegung Critical Mass. Ich war der Meinung, dass wir bei einer so hohen Schadstoffbelastung - 160 Mikrogramm pro Kubikmeter - den gesamten Autoverkehr verbieten sollten. Die Alternativen sind das Fahrrad, der Fussweg oder die öffentlichen Verkehrsmittel», argumentiert Yves Degoumois.

 

Ich war der Meinung, dass wir bei einer so hohen Schadstoffbelastung den gesamten Autoverkehr verbieten sollten.

 

Canal du Midi ©Fabienne Degoumois

Der an der ETH Lausanne (EPFL) ausgebildete Ingenieur Yves Degoumois kam 2001 ins Wallis. Danach arbeitete er für das Amt für Nationalstrassenbau, bevor er 2008 zur Dienststelle für Umwelt wechselte. Heute ist er Chef der Sektion Altlasten, Boden und Grundwasser und Adjunkt der Dienstchefin. 15 Jahre lang war er Präsident von Pro Velo Wallis. Abgesehen von Urlauben und Fernreisen hat Yves Degoumois seine Leidenschaft zu seinem bevorzugten Transportmittel gemacht.

«Das Fahrrad ist vor allem ein Transportmittel. Ich benutze es täglich für meine Fahrten. Es geht schnell und einfach. Es gibt immer mehr Menschen auf der Erde, und wir müssen darauf achten, Energie zu sparen. Radfahren ist eine Möglichkeit, dieser Herausforderung zu begegnen. Mit dem Fahrrad zu fahren ist auch eine Möglichkeit, für dieses Verkehrsmittel zu werben», sagt unser Gesprächspartner.

Der Sittener geht mit gutem Beispiel voran. Er setzt bei der Förderung des Radsports aber auch auf den Staat. Vor allem bei eher ängstlichen Personen. Denjenigen, die aus Angst vor dem Strassenverkehr zögern, auf ihr Fahrrad zu steigen. Es sei dieses spezielle Publikum, das auf den Sattel gehoben werden müsse, nicht das überzeugte, findet er. 

Um dies zu erreichen, müssten der Kanton und die Gemeinden ein sicheres Velonetz aufbauen, glaubt Yves Degoumois: «Es gibt viele Lösungen: die Schaffung von zusätzlichen 20er- oder 30er-Zonen, die Überarbeitung von Strassenmarkierungen, die Limitierung von Ampelanlagen oder die Schaffung von Stellplätzen. Es ist eine Herausforderung, die nicht zwingend teuer sein muss. Sie erfordert gründliche Überlegungen und eine Umgestaltung der einzelnen Stadtviertel. Es ist aber nicht an uns engagierten Radfahrern, Lösungen zu finden. Man muss sich mit den gesetzlichen Möglichkeiten vertraut machen und es den Fachleuten überlassen, das Netz von morgen aufzubauen.»

Gleichzeitig erfährt das Radverkehrsnetz allerdings ausserhalb des Stadtgebiets eine enorme Entwicklung. Auf unseren Land- und Bergstrassen nimmt die Zahl der Routen zu, was man am Beispiel Sanetsch, der in den Fachführern inzwischen als «mythischer Pass» eingestuft wird, erkennt. Vom Mythos zur Wirklichkeit: Augustin, Fabienne und Yves erreichten das Ende dieses besonders anspruchsvollen Anstiegs. Der Abstieg nach Steig erfolgt in einer Gondel, dann geht es weiter nach Thun, dem Endziel dieses ersten Tages.

 

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Zu Besuch

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Zu Besuch in Binn

Im Tal der verborgenen Schätze

Mit seinen 145 Einwohnern mag Binn ein recht überschaubares Dorf sein. Doch bei Mineralien- und Gesteinskennern ist die kleine Ortschaft im Landschaftspark Binntal auch international ein Begriff. Über 200 verschiedene Mineralien, darunter mehr als ein Dutzend, die nirgendwo sonst auf der Welt entdeckt wurden, sorgen für weltweite Bekanntheit. Binn sei aber nicht wie oft angenommen der Hauptort des Tals, hält Strassenwärter Hubert Gorsatt, mit dem wir uns zuhinterst beim Weiler Fäld treffen, fest. «Der Hauptort heisst Schmiedigehischere. Und dann gibt es noch zahlreiche weitere Weiler, die zur Gemeinde gehören. Aus geschichtlicher Sicht gibt es die Ortschaft mit dem Namen Binn eigentlich gar nicht.»

Weiler Fäld

Hubert Gorsatt ist in Binn aufgewachsen. Gegenwärtig lebt er in der Gemeinde Fieschertal, verbringt aber regelmässig Zeit oberhalb der Binner Baumgrenze. Dort oben, auf etwa 2000 Metern Höhe, besitzt er eine Alphütte. An diesem Ort fühle er sich am wohlsten und könne seine Batterien wieder auftanken. «Im gesamten Binntal gibt es mit über 200 Kilometer markierten Wander- und Bergwegen unzählige Möglichkeiten. Eine der bekanntesten Wanderungen führt wohl über den Albrunpass auf die in Italien liegende Alpe Devero», verrät der passionierte Berggänger.

Ein Eldorado für Mineralienliebhaber

Auf kurze 1,25 Kilometer dieser Wanderwege begeben wir uns nun gemeinsam. Entlang des Gesteinslehrpfads laufen wir bis zur Mineraliengrube Lengenbach. Die etwa halbstündige Wanderung führt an elf Stationen vorbei, die spannende Einblicke in die ausserordentliche Gesteinsvielfalt des Binntals vermitteln. Unterwegs fallen Hubert Gorsatt so allerlei Kindheitserinnerungen ein. «Früher kamen wir oft zur Grube und haben ein unterhaltsames Schauspiel beobachtet. Es kamen Leute aus nah und fern, alle mit der Absicht, unter den riesigen, in der Grube abgebauten Steinbrocken, etwas Wertvolles zu finden.» Manche hätten sich das Gestein regelrecht gegenseitig aus den Händen gerissen. Schmunzelnd fügt er hinzu, dass er und seine Freunde damals Fundstücke aus der Grube – meistens von keinem besonderen Wert - an nichtsahnende Touristen verkauft hätten. Heute gibt es diese Strassenstände nicht mehr. Dafür begegnet man auf der Abraumhalde der Grube zahlreichen mit Hammer und Meissel bewaffneten Kindern. Sie suchen eifrig nach dem Mineral Pyrit, das im Volksmund auch als «Katzengold» bekannt ist. Es ist gelb und glänzt, ist aber trotzdem kein Gold und hat wohl schon so manchen Schürfer enttäuscht. Von einst etwa 150 Mineralarten, die in der Mineraliengrube Lengenbach gefunden wurden, sind das Katzengold und der knallrote Realgar, der auf dem weissen Dolomit farblich sofort heraussticht, heute die verbreitetsten Arten.

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Katzengold
Realgar

Der Mineralienvielfalt ist die touristische Entwicklung des Binntals insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verdanken. «Damals war das sogenannte Strahlen für die einheimischen Familien ein lukratives Geschäft. Es sorgte für ein zusätzliches Einkommen im traditionellen Bauernbetrieb», erläutert Hubert Gorsatt. Von den Bauernbetrieben sei aber nicht mehr viel übrig. Überhaupt würden die lokalen Gewerbe nach und nach aussterben, da viele ihren Lebensunterhalt ausserhalb des Tales bestreiten würden oder gar weggezogen seien.

In der Mineraliengrube können sich Besucher selbst mit Hammer und Meissel auf die Suche nach Gesteinen begeben. 

Ein Wettertor im Kampf gegen Vereisungen

«Besonders im Winter kann das Tal sehr abgelegen wirken», sagt der Strassenwärter. «Wenn es viel Neuschnee gibt, müssen manche Strassenabschnitte gesperrt werden.» Mit früher sei das aber nicht zu vergleichen, als der Abschnitt durch die Twingischlucht wegen Lawinenniedergängen oft unpassierbar war. «Das hat sich in den 1960er-Jahren mit dem Bau des Tunnels, der diesen Teil umfährt, geändert. Dieser gewährleistet die Zugänglichkeit der Siedlungen auch in den Wintermonaten», führt Hubert Gorsatt weiter aus. Zu ebendiesem, knapp zwei Kilometer langen und etwas unheimlichen Tunnel fahren wir nun auch hin. Denn dieser verfüge über ein weit und breit einmaliges Wettertor, erklärt uns Hubert Gorsatt. Darunter können wir uns noch wenig vorstellen. Was es damit auf sich hat, zeigt uns der Mitarbeiter der Dienststelle für Mobilität am Tunneleingang.

Das Wettertor am Ein- und Ausgang des Binntaltunnels schützt im Winter vor starken Vereisungen.

«Im Binntaltunnel ist es das ganze Jahr über nass. Gerade während der kalten Jahreszeit wurde dies zum Problem, da der Boden so stark vereiste, dass wir Tonnen von Salz streuen mussten. Seit der Inbetriebnahme des Wettertors gehört diese Problematik der Vergangenheit an.» Erreichen die Aussentemperaturen nämlich einen gewissen Minuswert, schliesst das Wettertor automatisch. Im Tunnelinnern bleibt es dadurch etwas wärmer. Die Autos, die den Tunnel passieren möchten, werden kurz vor den Eingängen von einem Ampelsystem sensorisch erfasst, woraufhin sich das Tor öffnet und den Weg frei gibt.

 

 

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