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null Geschichten, die das Leben schreibt

PorträtGeschichten, die das Leben schreibt

Anne-Catherine Biner versteht es, mit Worten umzugehen. Sie bewahrt den Kontakt zum Leben, indem sie Erfahrungsberichte von persönlichen und beruflichen Reisen sammelt. Ihre Liebe zum Geschichtenerzählen geht auf die Zeit zurück, als ihre Tanten ihr Sequenzen über ihr tägliches Leben erzählten, die sich auf die Arbeit auf dem Land, die Erziehung der Kinder und ihre Rolle im Haushalt konzentrierten. Dieses Interesse wurde professioneller, als sie den CAS-Studiengang Lebenserzählungen und Lebensgeschichten an der Universität Freiburg absolvierte. «Solange ich denken kann, war Lesen meine Lieblingsbeschäftigung. Das Schreiben ist meine zweite Natur. Ein besonders grosses Interesse habe ich aber an Lebensgeschichten.»

 

 

«Mich fasziniert besonders der Aspekt, wie man so wird, wie man aktuell ist», sagt die Autorin, die in einem Teilpensum als Dokumentalistin bei der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung Unterwallis innerhalb der Dienststelle für Berufsbildung tätig ist. «Meine Bücher neigen dazu, durch Lebensgeschichten unbekannte Horizonte zu eröffnen. Mich interessiert, vor welchen Herausforderungen meine Gesprächspartner standen und wie sie diese bewältigt haben. Ich bin sehr darauf bedacht, sinnvolle Inhalte zu vermitteln. Ich höre meinen Gesprächspartnern zu, ohne sie zu unterbrechen, um ihren Gedankengang nicht zu durchkreuzen. Ich bemühe mich, ihr Vertrauen zu gewinnen. Es ist mir wichtig, die Essenz des Gesagten zu bewahren und meine Gesprächspartner direkt, persönlich und frei sprechen zu lassen», betont Anne-Catherine Biner.

 

Mich fasziniert besonders der Aspekt, wie man so wird, wie man aktuell ist.

 

 

Die ‹Perlen› tauchen oft auf, wenn der Wortschwall nachlässt.

 

So handelte ihr im Jahr 2018 veröffentlichtes Erstlingswerk von der Lehrerin Betty Bonvin, die zum einen über ihr Schulleben als Kind und Jugendliche erzählt, aber auch Geschichten aus ihrer über 40-jährigen Laufbahn als Primarlehrerin im Wallis liefert. «Sie hatte sehr präzise Erinnerungen, so waren die Gespräche stets spannend. Aber das Material war sehr umfangreich. Ich verbrachte viele Stunden damit, die Geschichte zu transkribieren, umzuschreiben und zu strukturieren. Die gesprochene Sprache braucht eine Menge an Vermittlung, um angenehm zu lesen zu sein. Grundsätzlich lege ich keine Endzeit für die Interviewgespräche fest. Die ‹Perlen› tauchen oft auf, wenn der Wortschwall nachlässt.»

 

Mitte September letzten Jahres erschien Anne-Catherine Biners jüngstes Werk «Soins à Coeur – Infirmières, je vous aime». Sie hat über einen gewissen Zeitraum Erfahrungsberichte von Pflegefachleuten aus den Kantonen Wallis, Waadt, Freiburg und Genf gesammelt. «Das Buch sollte zum Ausdruck bringen, wer diese Helden des Alltags sind und was ihnen tagtäglich in ihrem Berufsalltag so wiederfährt. Es übergibt das Wort direkt an die Pflege- und Betreuungskräfte», erklärt die Autorin. Diese würden darin über ihren Hintergrund, ihre Erfahrung mit Patienten in verschiedenen Bereichen wie der allgemeinen Pflege, der Psychiatrie. Pädiatrie, in Alters- und Pflegeheimen und häuslicher Pflege sprechen.

 

In Testimonials würden sie über ihr Engagement und die Herausforderungen in ungewöhnlichen Situationen in ihrer täglichen Berufspraxis, ihre Beziehung zu den Eltern, zur Familie und zu den Patienten berichten. «Dieses Buch wurde vor der Pandemie fertiggestellt. Mein Verleger hat mich bereits 2018 auf dieses Projekt angesprochen und gefragt, ich daran interessiert wäre. Eine Pflegefachfrau, die den Wunsch verspürt hat, ihre erlebten Erfahrungen im beruflichen Umfeld zu schildern, hatte ihn kontaktiert. Das Buchprojekt hat mich direkt angesprochen», führt sie weiter aus.

 

 

 

Anne-Catherine Biner erkennt in ihrer spezifischen Tätigkeit als Autorin und Erzählerin von Geschichten eine Parallele zu ihrer Arbeit. «Ich höre oft Geschichten von Menschen, die berufliche Veränderungen durchlaufen. Dieses Thema ist in der Tat sehr aktuell - Menschen, die von heute auf morgen ihr altes Leben verlassen, um etwas ganz anderes zu machen.» Ihr Teilzeitpensum erlaubt es ihr, sich nebenbei ihren literarischen Projekten zu widmen. Durch die fachspezifischen Studiengänge, die sie in den letzten Jahren absolviert hat, konnte sie sich Wissen aneignen, das sie auch auf ihren Berufsalltag übertragen kann. «Die Arbeit am Stil, der Strukturierung der schriftlichen Kommunikation, dem informativen Genre - all dies ist mir auch während meiner Arbeit nützlich. Etwa die richtige Wortwahl oder ein präziseres Schreiben im E-Mail-Verkehr, und das Bewusstsein, wie das geschriebene Wort beim Empfänger ankommt. Dieses Wissen kann ich gleichzeitig auch den Lernenden weitergeben.»

 

Aktuell arbeitet Anne-Catherine Biner an einem neuen literarischen Projekt. Noch in diesem Jahr wird sie einen weiteren Lebenslauf herausgeben. Es handelt sich um den Werdegang eines Walliser Journalisten, Schriftstellers und Radioreporters, der unter anderem als Korrespondent für das Wallis für verschiedene Westschweizer Zeitungen und internationale Presseagenturen tätig war. «Ich ziehe es vor, die Person noch geheim zu halten. So viel kann ich aber verraten: Dieses Buch erzählt Episoden aus seiner Jugend in einem kleinen ländlichen Dorf in den 1930er-Jahren. Dadurch können seine Kinder und Enkelkinder den Hintergrund ihres Vaters und Grossvaters verstehen und die Abenteuer dieses Kleinstadtjungen auf dem Weg zu der öffentlichen und bekannten Persönlichkeit, die er wurde, verfolgen.»

 

 

 

Anne-Catherine Biner legt viel Wert darauf, dass ihre Texte für jedermann zugänglich und lesbar sind. «Ich versuche, den Stil einfach zu halten und dem Leser gleichzeitig einen Text von guter Qualität zu bieten. In der Einfachheit liegt oftmals die Schönheit», findet die Dokumentalistin. Sie habe viele Lebensgeschichten gelesen, sich dabei aber nie von einem anderen Autor inspirieren lassen. Denn jeder habe seine eigene Sicht auf die Dinge, seinen eigenen Zugang zur Geschichte und seine eigenen biografischen Interessen. Wobei sie allerdings die Werke von Mike Horn sehr gerne lese. «Das Buch ‹Vouloir toucher les étoiles› begeistert mich besonders. Mike Horn drückt sich darin mit einer grossen Einfachheit aus. Er schafft es, eine fortlaufende Geschichte zu kreieren, indem er grundlegende Ereignisse seines Lebens mit im Moment erlebten Situationen mischt. Man spürt den Menschen dahinter, das hat mich sehr berührt.»

 

In der Einfachheit liegt oftmals die Schönheit.

2009 hat Anne-Catherine Biner Webliterra.ch ins Leben gerufen. Diese Plattform bündelt literarische Informationen über News aus der Westschweiz zu Autoren, Verlagen und Vereinigungen. Sie kündigt Veranstaltungen an, Aktivitäten wie Schreibwerkstätten und Literaturwettbewerbe, und fungiert so als Brücke zwischen den verschiedenen literarischen Akteuren in der französischsprachigen Schweiz wie auch den Medien und der Öffentlichkeit. Es handle sich dabei um eine gemeinnützige Aktivität, eine kleine Hilfe für die französischsprachige Literatur. Die Seite entwickelt die Gründerin regelmässig weiter, so dass diese inzwischen eine beachtliche Zahl an Abonnenten vorweisen kann. 

 

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Zu Besuch

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Zu Besuch in Ayer

Zu Besuch in Ayer
mit Adrienne Melly

Oberhalb der Navisence, mit Blick auf einige der imposantesten Walliser Viertausender, liegt das malerische Dörfchen Ayer. Adrienne Melly, die im benachbarten Val d’Hérens aufgewachsen ist, verschlug es durch einen Studentenjob hierher: «Ich bin durch Zufall hier gelandet und habe mich sofort in das Dorf und die Landschaft verliebt». Mittlerweile nennt die Psychologin und Berufsberaterin des Berufsinformationszentrums Siders und der Orientierungsschule des Val d'Anniviers Ayer ihr Zuhause, wo sie mit ihrer Familie lebt. In Adrienne hat Ayer seine Botschafterin schlechthin gefunden, die uns auf unserer Entdeckungstour zu den Schätzen der Region begleitet: das Chalet Madeleine, den Gletscherwein, den Lehrpfad Zau Zoura und das Fronleichnamsfest.

 

Eine besondere Adresse: Das Chalet Madeleine

Das Chalet Madeleine ist ein altes Häuschen mitten im Herzen von Ayer. Teils aus Stein, teils aus Holz, fügt es sich idyllisch ins Ortsbild ein und ist mehr als einen Besuch wert. Hier öffnet sich die Tür zu einer eindrucksvollen Reise in die Vergangenheit, denn das 1579 erbaute Haus konnte bis heute in seinem Originalzustand erhalten bleiben. Gerade mal aus zwei Räumen besteht das Gebäude: eine Küche und ein Schlafzimmer, verbunden durch den obligaten Specksteinofen. Sogar Mobiliar und Einrichtungsgegenstände stammen grösstenteils noch aus der damaligen Zeit.

« Es ist ein echter Zeitzeuge im Massstab 1:1 der Häuser von damals, in denen es weder Strom noch fliessendes Wasser gab », erklärt Adrienne Melly.

Das Chalet trägt den Namen seiner letzten Bewohnerin Madeleine Viaccoz, die hier bis 1969 lebte und im Alter von 84 Jahren verstarb. « Obwohl Trinkwasser und Kochherde in den Häusern Einzug hielten, holte Madeleine weiterhin ihr Wasser aus dem Dorfbrunnen und kochte über dem Holzfeuer», liest man in der Broschüre « Parcours historiques d’Anniviers ».

 

Das historische Wohnhaus gehört heute zum Kulturerbe des Verkehrsvereins Ayer, der sich um seine Erhaltung und Aufwertung kümmert. « Unsere Zeit ist geprägt von Innovation und ständigem Wandel. Das Chalet Madeleine gibt unserer flüchtigen und unbeständigen Gegenwart eine andere Dimension. Man erkennt, dass die Realität vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders aussah », erklärt unsere Begleiterin. Das altehrwürdige Haus wird am 20. und 21. Juli 2024 anlässlich des Kulturerbe-Wochenendes im Val d’Anniviers geöffnet sein. Anmeldungen für eine Besichtigung des Chalet Madeleine können über die Website www.annitrek.ch vorgenommen werden.

 

Eine regionale Spezialität: Der Gletscherwein

Nächster Halt auf unserer Tour ist die Weinkellerei der Burgergemeinde von Ayer. Präsident Jean-Yves Melly erwartet uns schon für die Verkostung des berühmten Tranks aus dem Val d’Anniviers: dem Gletscherwein.« Man trinkt nicht einfach einen Wein, es ist eine ganze Tradition, eine Geschichte », betont er gleich zu Beginn und reicht uns ein erstes Glas des goldenen Tropfens. « Geschmacklich erinnert er an Madeirawein oder den Vin Jaune aus dem Jura», erklärt uns Jean-Yves-Melly. Gletscherwein kann man nicht kaufen, weder im Geschäft noch im Restaurant. Man verkostet ihn in der Kellerei, direkt aus dem Fass. «Schaut euch um! Sind wir nicht an einem ganz besonderen Ort, mit den ganzen Zinnkannen, Weinfässern und Käselaiben? Jedes Mal werde ich ganz ehrfürchtig, wenn ich Gelegenheit habe, diesen Wein zu kosten », erklärt unsere Begleiterin. Üblicherweise wird der Gletscherwein nur zu Ende eines Besuchs und in kleinen Mengen ausgeschenkt.

Ein Fass Gletscherwein enthält normalerweise die Rebsorten Rèze oder Ermitage. Seine Besonderheit ist, dass die Fässer immer von Neuem bis zum Rand gefüllt werden. «Wenn man Gletscherwein ausschenkt, füllt man danach das, was gezapft wurde, mit neuem Wein auf. So vermischen sich die Jahrgänge untereinander», erklärt der Burgerpräsident. Drei Fässer Vin du Glacier lagern in der Kellerei von Ayer. Das älteste stammt aus dem Jahr 1727 und enthält 900 Liter Rèze, wobei die Basis hundert Jahre alt ist.

Der geschichtswürdige Tropfen wurde nun sogar in seiner eigenen Monographie verewigt mit dem Titel: «Vin du Glacier, à la découverte d’un grand vin», erschienen beim Verlag Editions Monographic. Die Autoren vermuten, dass «der Wein Gletscherwein genannt wurde, da dieser aus dem Tal in die Berge, also in die Nähe der Gletscher, gebracht wurde»

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