In Begleitung von...Mustafa Aoussi, Leiter des Flüchtlingswohnheims Martinach

Offene Türen rund um die Uhr

Es ist 7 Uhr morgens. Wie üblich erkundigt sich Mustafa Aoussi zuerst bei der Aufsichtsperson, wie die vergangene Nacht gelaufen sei. «Die Nacht war ruhig», rapportiert Nahro seinem Vorgesetzten. Dann tauschen sie sich kurz über einige Bewohnerinnen und Bewohner im Detail aus.

 

Die Nacht war ruhig
Nahro, Wächter der Institution
Mustafa Aoussi

Mustafa legt grossen Wert darauf, jeden Morgen den Puls seines Heims zu messen: «Da unser Zentrum rund um die Uhr geöffnet ist, ist der Informationsaustausch besonders wichtig. Eine transparente Kommunikation ist essenziell, um die Migrantinnen und Migranten – und insbesondere die Schwächsten unter ihnen – optimal zu betreuen.» Nahros Schicht geht damit zu Ende und er verabschiedet sich. Für den Verantwortlichen des Heims hingegen fängt die Arbeit gerade erst an.

 

Eine transparente Kommunikation ist essenziell, um die Migrantinnen und Migranten – und insbesondere die Schwächsten unter ihnen – optimal zu betreuen.

Umnutzung eines Hotels

Mustafa begrüsst uns im Foyer des Hotels Forum, das einst zu den besten Adressen von Martinach gehörte. Anfang 2023 wurde die Liegenschaft in eine Kollektivunterkunft für Migrantinnen und Migranten umgebaut. Obwohl im Hotel keine Touristen mehr ein und aus gehen, werden hier Gastfreundschaft und Herzlichkeit weiterhin gross geschrieben. Die gut 70 Bewohnerinnen und Bewohner, die hier Platz gefunden haben, kommen mehrheitlich aus der Ukraine; viele sind aber auch aus Burundi, Afghanistan, Eritrea, der Türkei oder Sri Lanka.

 

 

Eine weitere Gemeinsamkeit mit dem ehemaligen Hotel ist, dass das Wohnheim weiterhin zur Stadt hin offen ist. «Wir sind nicht da, um nur vom Gebäude zu profitieren», betont der Verantwortliche. «Die Bevölkerung soll auch von unserer Anwesenheit profitieren.» So unterhält das Wohnheim gute Kontakte zu den Geschäften im Quartier, arbeitet eng mit den Stadtbehörden von Martinach zusammen und beteiligt sich auch aktiv an lokalen Veranstaltungen. «Es wäre schade, wenn sich ein Flüchtlingsheim nur nach innen ausrichtet», so Mustafa.

 

Wir sind nicht da, um nur vom Gebäude zu profitieren

Vom Flüchtling zum Verantwortlichen beim Amt für Asylwesen

Mit seinen 33 Jahren hat Mustafa Aoussi mehr erlebt als die meisten in seinem Alter. Als Angehöriger der kurdischen Minderheit muss er vor dem repressiven Regime seines Landes fliehen und Syrien verlassen. Mit einem humanitären Visum reist er vor acht Jahren in die Schweiz ein und stellt ein Asylgesuch. Hier erhält er erst einen Ausweis N (Asylsuchende), dann einen Ausweis B (anerkannte Flüchtlinge) und schliesslich eine Niederlassungsbewilligung (Ausweis C). Die Integration in die neue Heimat hat für ihn oberste Priorität. Und diese Integration wird zu einer Erfolgsgeschichte. Der sprachbegeisterte Syrer stellt sich als Dolmetscher zur Verfügung, absolviert dann ein Praktikum, macht eine Lehre zum Fachmann Betreuung und erwirbt schliesslich an der ESSIL in Lausanne sein Diplom als Sozialpädagoge. «Ich habe viel investiert. Es heisst ja nicht umsonst, von nichts kommt nichts», gibt Mustafa bescheiden zu.

 

Ich habe viel investiert. Es heisst ja nicht umsonst, von nichts kommt nichts

Der Dirigent und sein Orchester

Seine Ernennung zum Leiter des Wohnheims Martinach erfolgt im Juli 2023. Mustafa vergleicht seine Rolle mit der eines Dirigenten: «Der Verantwortliche beaufsichtigt und koordiniert alles, was im Zentrum so läuft. Gleichzeitig sorgt er für eine sichere und stimulierende Umgebung – nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch für sein Team.» Dieses Team besteht aus einer Sozialarbeiterin und drei Mitarbeitenden, die administrative Arbeiten und die Betreuung der Migrantinnen und Migranten übernehmen. Jeden Morgen trifft sich das Quintett zu einer kurzen Sitzung und verteilt die Aufgaben.

Mustafa lädt uns ein, an der Sitzung dabei zu sein. Im Mittelpunkt der Gespräche steht meist die Suche nach Lösungen. «Ich befasse mich so oft es geht mit der Frage wie? und nicht mit dem Warum», so Mustafa. «Wenn wir die Frage «wie?» stellen, gelangen wir rascher zu einer Lösung.» Bei seinem Führungsstil vertraut er auf den Grundsatz der Ko-Konstruktion: «Ich versuche sowohl mit meinem Team, als auch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, gemeinsam etwas zu erarbeiten. Ich halte nichts davon, Dinge von oben herab durchzusetzen. Es ist wichtig, dass die involvierten Parteien die Vorschläge verstehen und mit ihnen einverstanden sind, damit es funktioniert.»

 

Wenn wir die Frage «wie?» stellen, gelangen wir rascher zu einer Lösung.

Sozio-professionelle Integration

 

Ein Flüchtlingswohnheim ist viel mehr als nur ein schützendes Dach über dem Kopf: Es ist ebenso sehr ein Ort, wo gelebt und gelernt wird. Die Flüchtlinge verbringen hier in der Regel zwischen sechs und neun Monate, bevor sie in eine eigene Wohnung umziehen können. Die Kollektivunterkünfte des Kantons, so wie das Wohnheim Martinach, haben den Auftrag, die Migrantinnen und Migranten auf das Leben in der Schweiz vorzubereiten. Hier werden die ersten Sprachkenntnisse in Deutsch oder Französisch erworben und die Sitten und Bräuche des Gastkantons gelernt.

 

Wenn jemand in seinem Heimatland als Maler gearbeitet hat, wird er im Wallis in eine ähnliche Richtung gelenkt

Daneben wird versucht, die beruflichen Kompetenzen jedes einzelnen zu eruieren. «Wenn jemand in seinem Heimatland als Maler gearbeitet hat, wird er im Wallis in eine ähnliche Richtung gelenkt», erklärt Mustafa. «Bis es mit dem Einstieg in den Arbeitsmarkt klappt, kann er im Rahmen unserer Beschäftigungsprogramme beispielsweise die Wände des Hotels auffrischen.» Das Flüchtlingsheim ist also alles andere als ein Ferienlager. Tagsüber trifft man kaum jemanden im Café oder im Gesellschaftsraum an. Für Mustafa ein gutes Zeichen: «Das zeigt, dass alle mit irgendwas beschäftigt sind bzw. dass mein Team und ich unseren Job gemacht haben», freut er sich.

Das zeigt, dass alle mit irgendwas beschäftigt sind bzw. dass mein Team und ich unseren Job gemacht haben
Das Flüchtlingsheim ist also alles andere als ein Ferienlager.

 

Ein Zeichen der Wertschätzung

Mustafa Aoussi, der ein Paradebeispiel für gelungene Integration ist, arbeitet seit bald fünf Jahren fürs Amt für Asylwesen. Als er sich auf die Stelle als Heimleiter bewirbt, geht es ihm nicht um den Titel, sondern um die Botschaft, die er damit vermitteln will: «Das Wallis hat mir seine Gastfreundschaft geschenkt und mir die Möglichkeit gegeben, eine Ausbildung zu machen. Indem ich Verantwortung übernehme, möchte ich meine Dankbarkeit gegenüber meinem Gastkanton zum Ausdruck bringen.»

Das Wallis hat mir seine Gastfreundschaft geschenkt und mir die Möglichkeit gegeben, eine Ausbildung zu machen. Indem ich Verantwortung übernehme, möchte ich meine Dankbarkeit gegenüber meinem Gastkanton zum Ausdruck bringen.
  Zurück